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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 24.05.2005
Aktenzeichen: 2 Ws 121/05
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 140 Abs. 2 |
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Strafsenat
Strafsache gegen
wegen Verdachts der Sachbeschädigung
hier: Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung
Beschluss vom 24. Mai 2005
Tenor:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Verfügung des Vorsitzenden vom 27. April 2005 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.
Gründe:
Mit Urteil des Amtsgerichts B. ist der Angeklagte vom Vorwurf der Sachbeschädigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das freisprechende Urteil Berufung eingelegt. Sie erstrebt aufgrund abweichender Beweiswürdigung die Verurteilung des Angeklagten zu Geldstrafe. Das Landgericht W. hat Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 07. Juni 2004 bestimmt, das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet und vier Zeugen geladen. Mit Verfügung vom 27. April 2005 hat der Vorsitzende es abgelehnt, dem Angeklagten seinen bisherigen Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger zu bestellen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 02. Mai 2005, die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig (vgl. Kleinknecht, StPO, 48. Aufl., § 141, Rn. 10; OLG Köln, MDR 1990, S. 462), aber im Ergebnis unbegründet ist.
1.
Nach § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO bestellt der Vorsitzende dem Angeklagten auf Antrag oder von Amts wegen unter anderem dann einen Verteidiger, wenn seine Mitwirkung wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten erscheint. Maßgeblich für die Beurteilung ist die Sicht eines juristischen Laien (vgl. Moltekin, StraFo 2005, 52, 55). Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hat diese Regelung dahin konkretisiert, dass dem Angeklagten in der Regel ein Verteidiger beizuordnen ist, wenn die Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil Berufung eingelegt hat und eine Verurteilung aufgrund abweichender Beweiswürdigung oder sonst unterschiedlicher Beurteilung der Sach- oder Rechtslage erstrebt (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2002, 336; OLG Bremen, NJW 1957, 151; OLG Hamm, NZV 1989, 244; OLG Frankfurt, StV 1990, 12; StV 1992, 220; OLG Düsseldorf, wistra 1990, 323; StV 2000, 409; OLG Köln, NStZ-RR 2003, 330, 331; siehe auch BVerfG, NJW 2003, 882; OLG Hamburg, StV 1993, 66; zustimmend Müller, in: KMR, § 140, Rn. 22; Laufhütte, in: KK zur StPO, 5. Aufl., § 140, Rn. 23; Lüderssen, in: LR StPO, § 140, Rn. 86). Die unterschiedliche Bewertung des Sachverhalts durch Staatsanwaltschaft und erstinstanzliches Gericht belegt aber nicht ausnahmslos die Schwierigkeit der Rechtslage (a.a. Wohlers, in: SK-StPO, § 140, Rn. 44; Moltekin, a.a.O., S. 55), sondern kann gleichwohl - ausnahmsweise - so einfach sein, dass der Angeklagte des Beistands eines Verteidigers nicht bedarf (vgl. OLG Düsseldorf, wistra 1990, 323).
2.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die - zwingende - Beiordnung eines Pflichtverteidigers liegen derzeit nicht vor.
a) Zwar besteht in Verfahrenskonstellationen der vorliegenden Art - Freispruch des Angeklagten im ersten Rechtszug und Berufung der Staatsanwaltschaft mit dem Ziel der Verurteilung des Angeklagten - in der Regel Anlass für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, weil sie dokumentiert, dass zwei mit der Strafverfolgung betraute Stellen über die Beurteilung der Sach- oder Rechtslage unterschiedlicher Auffassung sind und für den - freigesprochenen - Angeklagten das Risiko einer Verurteilung im Berufungsrechtszug besteht. Hier ist indessen ein Ausnahmefall gegeben. Rechtliche Schwierigkeiten, auf die ein großer Teil der Oberlandesgerichte maßgeblich abstellt (OLG Karlsruhe a.a.O, OLG Bremen a.a.O, OLG Hamm a.a.O), bestehen nicht. In tatsächlicher Hinsicht ist die Sachlage so einfach und übersichtlich, dass der Angeklagte des Beistands eines sach- und rechtskundigen Verteidigers nicht bedarf. Dies gilt sowohl für den entscheidungserheblichen Lebenssachverhalt als auch für die Beweislage.
Dem Angeklagten, einem Gärtnermeister, wird vorgeworfen, am 01. August 2003 aus Verärgerung das Rücklicht eines durch den Zeugen J. gesteuerten Taxis beschädigt zu haben. Im ersten Rechtszug hatte sich der Angeklagte dahin eingelassen, dass er - gemeinsam mit seinem Bruder und einer weiteren Person, zu der er nichts sagen wolle - in das Taxi eingestiegen sei und der Zeuge sich aus für ihn nicht nachvollziehbarem Grund geweigert habe, sie zu befördern. Provoziert habe er den Taxifahrer nicht. Am nächsten Tag habe der Taxifahrer ihn aufgesucht und behauptet, er habe das Rücklicht eingeschlagen. Die Angaben des Angeklagten sind durch seinen in die Hauptverhandlung als Zeuge gestellten und vernommenen Bruder bestätigt worden und widersprechen den Angaben des Taxifahrers J., der bekundet hat, der Angeklagte, den er gekannt habe, habe ihn zunächst beleidigt und habe sodann - nachdem er ihn und seinen Begleiter zum Verlassen des Fahrzeugs aufgefordert habe - mit einem Gegenstand nach seinem Fahrzeug geworfen, wodurch ein Schaden entstanden sei. Dies habe er im Rückspiegel seines Fahrzeugs gesehen. Die Entscheidung der Schuldfrage wird mithin von der Bewertung der Aussage des Zeugen J. und davon abhängen, ob das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass er den die Tat bestreitenden Angeklagten zuverlässig identifiziert hat. Bei einer Gesamtschau aller Umstände ist die Sach- und Rechtslage daher als sehr einfach zu beurteilen.
b) Anlass für die Beiordnung eines Verteidigers besteht auch nicht deshalb, weil der Angeklagte zur sachgerechten Vorbereitung seiner Verteidigung Akteneinsicht benötigt (vgl. dazu OLG Karlsruhe, StV 1987, 518), um dem Belastungszeugen J. in der Berufungshauptverhandlung Vorhalte aus seiner früheren polizeilichen Vernehmung und aus seiner Aussage vor dem Amtsgericht machen zu können. Es erscheint angesichts des einfach gelagerten Sachverhalts ausreichend, wenn dem Angeklagten - auf seinen Wunsch - Abschriften der Vernehmungen aus den Akten gefertigt werden (vgl. § 147 Abs. 7 StPO). Ergänzend bemerkt der Senat:
Für sich genommen bedenklich ist allerdings die vor allem in der Nichtabhilfeentscheidung unter Bezugnahme auf das von der Staatsanwaltschaft erstrebte Strafmaß einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen formulierte Erwägung des Vorsitzenden, dass der Tatvorwurf Bagatellcharakter habe. Ist die Sach- und Rechtslage schwierig und deshalb zu besorgen, dass der unverteidigte Angeklagte sich nicht sachgerecht gegen den erhobenen Tatvorwurf zur Wehr setzen und seine Verteidigungsrechte effektiv wahrnehmen kann, so muss ihm - losgelöst von der Bedeutung der Tat oder einer möglichen Straferwartung im Einzelfall - ein Pflichtverteidiger bestellt werden.
Ende der Entscheidung
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